· 

Religiöse Analphabeten

 «Viele junge Kirchenmitglieder sind religiöse Analphabeten, weil weder Kirche noch Eltern es geschafft haben, ihnen Tradition und Glauben weiterzugeben.» sagte der Religionssoziologe Stefan Huber an einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Eröffnung der neu renovierten Kirche Geissberg in Langenthal. Der Satz hat mich gewaltig genervt. Einerseits weil er den Jungen gegenüber ziemlich herablassend wirkt und anderseits den Eltern ein Versagen vorwirft, wo Wille sein kann.

Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, die meisten Austritte aus der katholischen Kirche erfolgen im Alter zwischen 31 und 50 Jahren, also im Alter der Eltern. Da die Reformierte Kirche ähnlich viel Austritte wie die katholische Kirche zu verzeichnen hat, kann der Grund nicht nur bei den Skandalen der katholischen Kirche liegen. Huber sagte auch «Die Aussage, dass der Glaube abnehme, stimmt so nicht, viel mehr verändert sich der Inhalt des Glaubens weg vom institutionellen hin zum individuellen Glauben.» Mit anderen Worten: die Menschen treten aus der Kirche aus, weil die Kirche keine Antworten auf ihre Glaubensfragen hat.

In der Adventszeit kommt Besinnlichkeit auf. Viele Menschen feiern Weihnachten ohne die Kirche zu betreten. Sie nehmen sich Zeit für sich, für ihre Nächsten. Begegnungen sind wichtig und deshalb trifft die Absage des Weihnachtsmarkts die Huttwilerinnen und Huttwiler sehr. Ich bin gespannt, wie viele den neuen Wiehnachtswäg begehen werden. Er ermöglicht immerhin in kleinen Gruppen einen Moment der Besinnlichkeit zu erleben. Das Miteinander ist den Menschen immer noch wichtig, in diesem Pandemiejahr vielleicht sogar noch mehr. Dieses Miteinander finden die Menschen jedoch immer weniger in Gottesdiensten. Anstatt Sonntagsgottesdienste werden in der Pandemie Wochentaggottesdienste angeboten und schon kann die Obergrenze von 15 Teilnehmern problemlos eingehalten werden.

Die Kirche sei ein Auslaufmodell sagte Huber. Angesichts der weltweiten Grösse der katholischen Kirche eine gewagte Aussage. Meinen Studenten an der Höheren Fachschule in Luzern bringe ich immer wieder die katholische Kirche als eindrückliches Beispiel eines Weltkonzerns, dessen Bedeutung abnimmt, obwohl er täglich präsent in unserem Leben ist. Welcher Konzern hat so ein dichtes Filialnetz wie die katholische Kirche? Welcher Konzern hat Filialen, die so einfach zu erkennen sind wie die Kirchen?

Niemand mehr spricht Altgriechisch, kaum einer kann noch Latein. Sind wir deswegen Analphabeten? Wohl kaum! Die Religion wird für immer mehr Menschen zu einer fremden, alten, nutzlosen Sprache. Viele Eltern geben ihren Kindern die Traditionen der Kirche nicht weiter, weil diese den Kindern in der Zukunft nicht weiter helfen werden. Das bedeutet keineswegs, dass sie gar keine christlichen Traditionen weitergeben. Insbesondere bleibt was uns Menschen als Herdentiere ausmacht: das Zusammensein. Ich wünsche Allen eine schöne Adventszeit und frohe Festtage. Bleiben Sie gesund!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0