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Kein Geld?

Diesen Sonntag schaute ich staunend auf die News-Tickers der kantonalen Medien. Dort wird eine Strasse saniert, dort ein Schulhaus oder eine Badi. Neue Strassen und Schulhäuser entstehen. Ich habe keine einzige Ablehnung eines Antrags feststellen können. Die Millionenbeiträge türmten sich so aufeinander, dass ich mich irgendeinmal fragte, ob da eigentlich die Milliardengrenze überschritten wird. Wow, dachte ich mir. Die Berner schauen zuversichtlich in die Zukunft, wenn sie zu so vielen Investitionen bereit sind. Offenbar ist Geld da, was ein Blick auf das Bruttoinlandsprodukt bestätigt: der Kanton Bern steuert 11.5% am BIP der Schweiz bei.

Eine einzige Ablehnung trübte das Bild, die Stimmberechtigen in Moutier wollten nichts von einer Steuererhöhung wissen. Im Oberaargau kennen wir dieses Phänomen, auch Langenthal und Herzogenbuchsee lehnten Erhöhungen ab. Das Geld der Anderen ausgeben aber selber nicht tiefer in die Tasche greifen? Das Jammern der Finanzminister hat mich auch schon zur Aussage verleitet, unser Otto heisse Marcel. In Huttwil wird aus Spargründen jede zweite Strassenlaterne abgeschaltet und doch genehmigt das Stimmvolk die Sanierung von ein paar hundert Meter Strasse für 2,4 Millionen Franken. Wie passt das zusammen?

Die Antwort liegt in der unterschiedlichen Wahrnehmung der allgemeinen und der persönlichen Lage. Wenn die Stromkosten in Huttwil um 80% steigen, nützt der Blick auf das BIP des Kanton Berns wenig. Wobei auch da ein genaueres Hinschauen schon aufzeigt, dass die Lage vielleicht doch nicht so rosig ist. Der Kanton Bern steuert zwar schon 11.5% am BIP der Schweiz bei, aber er hat auch 11.9% der Bevölkerung, sein BIP pro Kopf ist also unter dem nationalen Durchschnitt. Viel besser als das BIP hilft hier der sogenannte HDI, der Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index). Während der BIP nur besagt, wieviel Geld hinundhergeschoben wird, aber nicht, ob die Menschen davon profitieren, misst der HDI wieviel die Menschen einnehmen, wie gut sie ausgebildet sind und wie hoch ihre Lebenserwartung ist. 2021 war die Schweiz weltweit die Nummer 1, aber das Espace Mittelland ist vor der Ostschweiz die zweitärmste Region der Schweiz. Berlin hat seit 1990 das Espace Mitteland rasant eingeholt und überholt, Wien haben wir noch nie eingeholt, Madrid ist uns sehr nahe auf den Fersen, einzig der Abstand zum Latium, der Region um die italienische Hauptstadt Rom, hat sich vergrössert.

Kein Geld? In einem der reichsten Länder der Welt, dem Land mit dem höchsten HDI der Welt, wird der Kanton Bern langsam zur Armenstube, was nur im nationalen Vergleich schlimm tönt. Die Bevölkerung glaubt dennoch an eine Zukunft. Freude herrscht!

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