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Fundamentalist

 

«Ihr Liberalen lasst nur noch die Mainstream-Meinung zu», sagte mir kürzlich jemand. Der Satz hat mich zuerst erstaunt und dann nachdenklich gestimmt. Als Liberaler sehe ich den Erhalt der Freiheit des Individuums als meine Leitidee. Wenn ich ausgerechnet die Meinungsfreiheit jedes Einzelnen einschränken würde, wäre das Verrat an meiner politischen Grundhaltung. Diese Person nimmt aber genau das wahr.

 

Ich, als Gesellschaftsliberaler, habe zudem alles andere als den Eindruck, dass ich die Mainstream-Meinung vertrete. Ein Burka- oder ein Minarettverbot gehen gegen meine Überzeugung, sind in der Schweiz aber mehrheitsfähig. Beide wurden unter anderem damit begründet, dass sie Ausdruck eines fundamentalistischen Islams sind. Ein Minarett ist so wenig ein Symbol für Glaubensfundamentalismus wie ein Kirchenturm. Nur weil es in Rom eine Gruppe gibt, die der Meinung ist, dass die katholische Kirche Schwulen und Lesben keinen Segen spenden darf, heisst das nicht, dass alle Katholiken das auch so sehen. Noch weniger können die Kirchentürme etwas dafür, dass es innerhalb der katholischen Kirche Fundamentalisten gibt.

 

Nichtdestotrotz beschreibt diese Person etwas, was auch mir Sorgen bereitet. Ich gehöre einer Generation an, die das schon einmal erlebt hat. Als ich die Rekrutenschule absolviert habe, kam der Feind immer von Osten. Die Welt war in «gut» und «böse» eingeteilt und wer diese Einteilung hinterfragte, wurde kritisch angeschaut, als Nestbeschmutzer abgestempelt, manchmal in geheimen, illegalen Fichen als potentieller Staatsfeind beschrieben. In der Schweiz aber auch in vielen anderen europäischen Ländern glaubten sogar einige, sie müssten eine geheime Organisation aufbauen, die notfalls die Macht durch einen Putsch an sich reisst, wenn «die Linken» sich politisch durchsetzen sollten.

 

Seit Beginn der Pandemie beobachte ich besorgt, wie undifferenzierte Beschimpfungen zunehmen, die Welt wieder in «gut» und «böse» eingeteilt wird. Einige dieser Schimpfwörter habe ich in meinen letzten Kolumnen zum Thema gemacht. Sie sind ein Weckruf an Dich, Leserin und Leser meiner Kolumnen. Beteiligst Du Dich an diesen Grabenkämpfen? Verwendest Du selber diese Schimpfwörter im Alltag? Wirst Du selber zum Fundamentalisten?

 

Ich erkläre hiermit, dass ich als Liberaler in keiner Art und Weise nur die Mainstream-Meinung zulasse und dass ich mich mit meiner ganzen Kraft dafür einsetze, dass die Meinungsfreiheit und die Meinungsvielfalt in der Schweiz erhalten bleibt.

 

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