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Der grosse Unterschied

2024 stimmte das Schweizer Volk der 13. AHV-Rente zu und lehnte die BVG-Reform ab. Der Gesellschaftsvertrag, der seit 1848 galt, war offensichtlich gebrochen. Dies geschah, bevor die Welt die Welle erkannte, auf der Donald Trump reitet.


Als Garibaldi 1860 mit seinen 1067 Soldaten in Sizilien landete, folgte kurz darauf der Zusammenbruch des politischen Systems des Königreichs beider Sizilien.


Das schweizerische Politsystem ist (noch) nicht zusammengebrochen. Noch könnte die Schweiz reagieren, korrigierend eingreifen. Ich benutze bewusst den Konjunktiv, denn die Schweiz hat zwar noch ein funktionierendes politisches System aber auch ein Identitätsproblem.


Am Beispiel der Eidgenössische Volksinitiative 'Keine 10-Millionen-Schweiz! (Nachhaltigkeitsinitiative) lässt sich dies aktuell gut erkennen. In typischer SVP-Manier ist die Initiative die falsche Antwort auf eine wichtige Frage. Eine gute Antwort auf die Frage bietet niemand an. Allenfalls wird gestritten, ob es einen Gegenvorschlag braucht oder nicht. Gegenvorschläge sind gut und wichtig, nicht nur weil sie grössere Erfolgschancen als Initiativen haben, vom Volk angenommen zu werden, sondern auch und insbesondere, weil sie bedingen, dass man sich einigt, was man überhaupt erreichen will.


Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Politiker das Problem nicht erkennen oder nicht benennen wollen. Die Schweiz hat mit ihrem Sonderweg ein Umfeld geschaffen, welches einen aussergewöhnlichen wirtschaftlichen Erfolg ermöglicht. Die Schweizer Wirtschaft ist gleichzeitig im Binnenmarkt und beim Export von Gütern und Dienstleistungen sehr erfolgreich.


Sie kann ihre Wirtschaftsleistung nur durch die Zuwanderung vieler Arbeitskräfte aufrechterhalten. Die Arbeitskräfte kann man aber nicht morgens aus der Schublade nehmen und abends wieder dorthin einräumen. "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.", wie es Max Frisch treffend zusammenfasste. Menschen, die Wohnraum, Mobilität, Einkaufsmöglichkeiten, Schulen, Krankenhäuser usw. brauchen, was wiederum zusätzliche Arbeitskräfte bedingt, was usw. usw. usw.


Abgesehen von der Haltung derjenigen, die ohnehin Mühe mit Fremden haben, bringt diese Entwicklung handfeste Problem mit sich. Darunter fallen die hohen Lebenskosten, die zunehmend zur (zu) grossen Belastung vieler werden, weil die Schweiz im internationalen Wettbewerb steht und sich gleichzeitig Mitbewerbern ausgesetzt sieht, die günstiger produzieren, und anderseits Abnehmern, die nicht in der Lage sind, die Preise zu zahlen, die sich die Schweiz erhofft, um ihr bisheriges Modell aufrechtzuerhalten.


Die Initiative ist eine Scheinlösung, die nicht dort ansetzt, wo das Problem wirklich liegt, aber sie spricht ein sehr wichtiges Thema an: die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz ist nicht nachhaltig und wird zunehmend zum Problem für die Schweizer Bevölkerung.


Die entscheidende Frage ist, ob der grosse Unterschied zu Süditalien 1861, das noch funktionierende politische System, einen Unterschied bei der Zukunftsgestaltung spielen wird.

 

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Joseph E. Stiglitz, Bruce C. Greenwald (2014  )A learning society

Deutsche Übersetzung: Die innovative Gesellschaft (2015) ISBN 978-3430201988

 

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