Wir sind am Ende unserer Zeitreise angelangt. 2024 wurde in der Schweiz der Gesellschaftsvertrag aufgelöst, der seit 1848 Wohlstand und Frieden gebracht hatte. Das Ende des Schweizer Sonderwegs ist erreicht. Geschwächt sieht die Schweiz eine riesige Welle auf sich zurasen. Auf der Welle reitet der amerikanische Präsident Donald Trump und räumt alles aus dem Weg, was ihm nicht passt.
Donald Trump ist nicht die Welle, er nutzt sie nur. So wie Giuseppe Garibaldi 1860 die Welle nutzte, die ihm ermöglichte mit einem kleinen Heer von rund 1'000 Soldaten das grosse Königreich
beider Sizilien zu schlagen und der Vereinigung Italiens zu einem Königreich den Weg zu ebnen.
Mit der Gründung des Königreichs Italiens 1861 wurde in Süditalien ein Gesellschaftsvertrag aufgelöst und durch nichts Gleichwertiges ersetzt. Die süditalienische Gesellschaft zerfiel in ihre
Einzelteile. Mafiöse Organisationen machten sich breit, weil der Staat zu schwach war. Viele Süditaliener sind seither ausgewandert. Die Basilikata zählt heute weniger Einwohner als Menschen, die
seit 1861 ausgewandert sind.
Die Schweiz befindet sich heute in der Situation, die 1861 in Süditalien eintraf. Wie gross der Schaden sein wird, hängt von der Heftigkeit der Welle ab, die uns trifft, und unserer Fähigkeit auf
die Veränderungen zu reagieren.
Fukuyamas Annahme ist, die Politik der Partikularinteressen der Machthabenden löse Widerstand aus und benachteiligte Gruppen würden um Würde und Gleichberechtigung kämpfen. In den benachteiligten
Gruppen entsteht, was der britische Ökonom Guy Standing das Prekariat nennt . Laut Standing leidet das Prekariat nicht nur unter Arbeitsplatzunsicherheit, sondern auch unter
Identitätsunsicherheit und mangelnder Zeitkontrolle, nicht zuletzt aufgrund der Sozialpolitik. Standing legte bereits 2014 dar, dass eine neue Klasse entsteht, welche die westlichen
Industriegesellschaften destabilisieren wird.
Die Reaktion beginnt im Kleinen bei jedem einzelnen und geht über alle Strukturen, denen wir angehören, bis zur Gesamtheit der Schweizer Gesellschaft, egal ob wir einen Schweizer Pass haben oder
nicht. Solange wir Normen beachten, werden diese Strukturen funktionieren. Gelten die Normen nicht mehr, müssen wir uns auf unsere Werte besinnen und neue Normen erfinden, die unseren Werten
genügen.
Gelingt uns das nicht, wird der Zerfall weitergehen. In Süditalien dauert er immer noch an. Er verläuft nicht geradlinig. Momente der Hoffnung und der Hoffnungslosigkeit lösen sich ab.
Die Bewohner der Basilikata nennen sich Lukaner. Sie sehen sich als die Nachfahren eines gleichnamigen Stammes, der in der Region vor der römischen Invasion wohnte. Diese kulturelle Identität
gibt den modernen Lukanern Halt und Orientierung.
Woran sich die Schweizer orientieren können und wollen, können sie nur gemeinsam beantworten. Meine Stimme ist hier nur eine Stimme unter vielen.
Buchempfehlung
Guy Standing (2014) The Precariat: The New Dangerous Class
Deutsche Übersetzung (2023) Prekariat Die neue explosive Klasse ISBN 978-3-89771-579-0
2014 überarbeitete Standing sein 2011 erschienes Werk "The Precariat" bereits und beschrieb vor zehn Jahren, was Menschen wie Donald Trump an die Macht bringen würde.
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