Traditionen leben weiter, wenn sie gepflegt werden und sich entwickeln dürfen. Grundvoraussetzung dazu ist Respekt, ein sehr wichtiger Aspekt in einem Vielvölkerstaat mit den unterschiedlichsten Traditionen. Kann die Schweiz diesen Respekt im Zeitalter von Personenkult und – bashing? Kann die Schweiz noch Grautönen denken?
Die Einwohner der Basilicata bezeichnen sich als «Lukaner». Dieses Volk besiedelte die Region, bevor sie von den Römern erobert wurde. Das Schweizer Pendant zu den Lukanern sind die Helvetier. Als Nationalheld gilt allerdings nicht Divico, der Anführer der Helvetier gegen Julius Cäsar, sondern Wilhelm Tell, ein legendärer Schweizer Freiheitskämpfer gegen die Habsburger.
Alters- und Behindertenheime findet man in der Schweiz oft am Ortsrand, wenn nicht ausserhalb der Ortschaft. Die Standorte gewisser psychiatrischer Kliniken erwecken den Eindruck, die maximale Distanz zum Kantonshauptort sei ein wichtiges Kriterium.
Bereits erreichen wir die 15. Etappe unserer Zeitreise. Wir halten an, schauen zurück.
Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Situationen in der Schweiz und in Süditalien sehr ähnlich. Die Armut war so verbreitet, dass viele auswanderten. Ein Bürgerkrieg brach aus.
Gesellschaften können erfolgreich sein, obwohl eine kleine Minderheit sich das Vermögen und das Einkommen mehrheitlich aneignet. Das war im Süditalien des frühen 19. Jahrhunderts so und ist bis jetzt in der Schweiz wahr.
«Wir werden sicher keine ganzen Täler aufgeben», sagte die Präsidentin der Gebirgskantone nach den tödlichen Unwettern im Juli. Es sei aber eine Tatsache, dass die Besiedlung seit je einem Wandel unterworfen war. Das werde auch in Zukunft so sein.
In der Schweiz blieb die Zahl der Auswanderer bis 1955 grösser als diejenige der Einwanderer. Danach bot die Schweiz so vielen Menschen eine Wohlstandsperspektive, dass die Bevölkerung seither wächst.
Italien hat es bis heute nicht geschafft, den Süditalienern eine Wohlstandsperspektive zu geben. Die Auswanderung blieb und bleibt gross und wurde durch Verträge des italienischen Staates begünstigt, die Italienern Zugang zu fremden Arbeitsmärkten beschafften.
Manchmal berichten Schweizer Medien von Aktivitäten des organisierten Verbrechens in der Schweiz. Diese können nicht verwundern, werden mafiöse Organisationen vom Geld angelockt. Ihre Aktivitäten können aber nur aufblühen, wenn der Staat Schwachstellen hat.
Das neue Königreich führte Krieg im Süden und investierte im Norden. Da Sardinien-Piemont kaum Verbündete im Süden hatte, setzte es auf norditalienische Politiker und Unternehmer. Während Norditalien wirtschaftlich aufblühte, stand der Süden während zwei Jahrzehnten still.
Die Nachfahren derjenigen, die dem Ruf des wirtschaftlichen Aufschwungs der Städte folgten, haben nicht den gleichen Bezug zu dieser alten Heimat, wie diejenigen, die auf dem Land geboren und wurden in Städten starben.