Gesellschaften können erfolgreich sein, obwohl eine kleine Minderheit sich das Vermögen und das Einkommen mehrheitlich aneignet. Das war im Süditalien des frühen 19. Jahrhunderts so und ist bis jetzt in der Schweiz wahr.
Voraussetzung dazu ist ein Versprechen. Kein schriftliches Versprechen, in keinem Gesetz festgelegt, sondern ein implizites Versprechen. Die reichen Eliten fühlen sich verpflichtet, trotz aller Bestreben das eigene Reichtum zu mehren, das Wohlergehen der Mehrheit nicht aus den Augen zu verlieren. In der Schweiz ist beispielsweise eine gewisse Zurückhaltung Teil der Kultur. Der eigene Reichtum wird nicht zur Schau gestellt, über Geld spricht man nicht. Oder sprach man zumindest lange nicht.
Managern, die anderswo aufgewachsen sind, fehlt diese kulturelle Dimension. Schweizer Grossunternehmen werden zunehmend von Managern geleitet, die im angelsächsischen Wirtschaftsmodell gross geworden sind. Mit dem Grounding der Swissair wurde einer breiten Bevölkerung klar, dass darunter auch Schweizer sind. Die Wahrnehmung eines Bruchs des Versprechens durch Wirtschaftskapitäne wuchs. Weitere Beispiele dieses Bruchs folgten.
In einer Demokratie, die dem Volk so viel Macht gibt, wie es in der Schweiz der Fall ist, hat das direkte Folgen in den Abstimmungen. Die Stimmbürger fühlen sich vom Gesellschaftsvertrag entbunden, rücken den gemeinschaftlichen Sinn von Veränderungen in den Hintergrund. Michael Hermann sprach im Zusammenhang mit der Abstimmung zur 13. AHV-Rente vom Ende des liberalen Sonderwegs der Schweiz.
Was in der Schweiz jetzt passiert, entspricht genau dem, was in Süditalien passierte, als das System der Latifundien, der Grossgrundbesitzerfamilien, bei der Einigung Italiens zusammenbrach. Die Zukunftsaussichten der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung veränderte sich grundlegend und die Menschen nahmen ihre Zukunft selbst in die Hand.
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