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Zwischenhalt

Bereits erreichen wir die 15. Etappe unserer Zeitreise. Wir halten an, schauen zurück.

 

Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Situationen in der Schweiz und in Süditalien sehr ähnlich. Die Armut war so verbreitet, dass viele auswanderten. Ein Bürgerkrieg brach aus.

 

Die Schweiz und Süditalien schlugen unterschiedliche Wege ein. Die Schweiz gab sich eine Verfassung, die Minderheiten schützte, achtete auf Ausgleich. Das Königreich Italien vernachlässigte den Süden und investierte im Norden.

 

Mitte der 1950er Jahre hatte sich die Schweiz so verändert, dass sie eine Wohlstandsperspektive bot. Mehr Menschen wanderten ein als aus. Auch viele Süditaliener kamen.

 

Italien hat noch heute keine Antwort auf die Mezzogiorno-Frage. Neben dem modernen, reichen Italien gibt es immer noch ein ländliches Italien mit wenig Einkommen und Vermögen. Interessanterweise leben aber gerade in diesem ländlichen Italien verhältnismässig mehr Menschen länger. Sie leben in Gesellschaften, die ihr Gleichgewicht zwischen finanziellem, sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital einigermassen erhalten konnten.

 

In Norditalien wie in der Schweiz dominiert das finanzielle Kapital, die anderen Formen des Kapitals verkümmern. Die Schweiz hat dies lange mit einer Ökonomisierung des Sozialwesens, der Kultur und der Institutionen ausgeglichen. Nun stösst dieser Ausgleich an Grenzen, die finanziellen Mittel genügen nicht mehr, um soziale, kulturelle, symbolische und neu ökologische Folgen auszugleichen.

 

Fehlt dieser Ausgleich, verändern sich die Zukunftsaussichten der Menschen. Armut und die Angst vor Armut machen sich breit, die Menschen suchen nach neuen Lösungen. Bisher war in der Schweiz Arbeit das beste Mittel gegen Armut. Ein so wirksames Mittel, dass auch Altersvorsorge möglich war. Ob der liberale Sonderweg am Ende ist, wie es Michael Hermann behauptet, vermag ich nicht zu beantworten, aber das Ende des Weges ist nicht mehr weit weg.

 

Und dann? Was kommt danach?

 

Buchempfehlung

Holenstein, Kury und Schulz (2018) ISBN 978-3-03919-414-8

 

Migration ist für die Schweiz eine historische Normalität. Früher suchten die Eidgenossen nach Arbeit
in der Ferne, Ende des 19. Jahrhunderts stieg die  Schweiz zu einem Zentrum des europäischen
Arbeitsmarktes auf.  Im 20. und 21. Jahrhundert musste die Schweiz ihren Umgang mit Flüchtlingen
und Arbeitsmigranten neu definieren.

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Kommentare: 1
  • #1

    Lydia (Dienstag, 19 November 2024 10:27)

    "Interessanterweise leben aber gerade in diesem ländlichen Italien verhältnismässig mehr Menschen länger. Sie leben in Gesellschaften, die ihr Gleichgewicht zwischen finanziellem, sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital einigermassen erhalten konnten."

    Ein Lösungs-Hinweis auf die aktuellen Herausforderungen/Herausförderungen könnte in diesem Satz zu finden sein.



    Ich lese Ihren Blog jeden Dienstag gerne, Sie schreiben so klug und warmherzig über beide Regionen. Danke dafür.