· 

Gerufene Arbeitskräfte

Philippe: Nach dem zweiten Weltkrieg boomte die Schweizer Wirtschaft und sie konnte den Bedarf an Arbeitskräften nicht mehr auf dem Binnenmarkt decken. Sie rief nach Arbeitskräften aus dem Ausland. Mein Vater und mein Schwiegervater sind diesem Ruf in den 1960er Jahren gefolgt und hätten unterschiedlicher nicht behandelt werden können. Mein Vater kam aus Belgien und hatte einen Schweizer Pass. Mein Grossvater war vor dem Weltkrieg nach Belgien ausgewandert, weil er in der Schweiz keine Arbeit mehr hatte. So konnte sein Sohn, mein Vater, hürdenfrei einreisen und in der Schweiz arbeiten. Den allermeisten gerufenen Arbeitskräften würden aber viele Steine in die Wege gelegt. Sie waren als Arbeitskraft willkommen aber nicht als Menschen. Die Schweiz scheint innert nur zwei Jahrzehnten vergessen zu haben, dass sie selbst lange sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge «produzierte». Schon vor den 1930er Jahren mussten viele Schweizer auswandern. In den Dörfern kam es teilweise zu Kollekten wie bei Astrid Lindgrens «Michel von Lönneberga», damit die Reise der Auswanderer finanziert werden konnte. Viele flohen auch, weil ihr Glaube nicht geduldet wurde.


Gianpietro: Wie bereits gesagt, über die Schweiz und ihren Umgang mit den Arbeitskräften, die sie gerufen hatte, fühlte ich mich nicht in der Lage zu schreiben. Wie Deutschland hat die Schweiz mit Italien einen Staatsvertrag abgeschlossen. Es gab also einen gewissen legalen Rahmen, wie er beispielsweise für Deinen Grossvater nicht existierte.


Die Folgen für den Einzelnen sind individuell, auch wenn gewisse Muster erkennbar sind. Ich habe dies am Beispiel der Brüder Gentile, die niemanden kannten, und Giovanni Crocco, Vito Di Perna und Pantaleo Zotta, die dank eines Verwandten andere Ausgangsbedingungen hatten, zu beschreiben versucht. Dennoch haben Paolo Gentile und Giovanni Crocco je eine Deutsche geheiratet. Beide gaben ihren Söhnen einen deutschen Namen, während das Leben von Claudio Gentile und Pantaleo Zotta einen unglücklichen Verlauf nahm. Vito Di Perna wiederum heiratete seine Jugendliebe aus seinem Dorf und sie kehrten im Ruhestand in die Heimat zurück.


Natürlich spielen die Rahmenbedingungen eine Rolle, aber wer seine Chance nicht nutzt, hat keinen Vorteil aus einer besseren Ausgangslage. Wer auf eine geschlossene Gesellschaft stösst, braucht Türöffner. Durch die offene Türe musst Du dann selbst gehen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0