Philippe: Süditalien wird auch mit der Mafia assoziiert. Du greifst das in Deinem Roman auf, obwohl die Basilicata keine eigenständige Mafia hat. Allerdings taucht das organisierte Verbrechen nicht in Süditalien auf, sondern in Deutschland. Der jüngere Bruder von Vicenza Gentile, der «Toten von Anglona», sucht das schnelle Geld und findet es dank Kontakten mit der kalabrischen ’Ndrangheta. Wieso gibst Du dem organisierten Verbrechen Platz in Deinem Roman?
Gianpietro: Es geht weniger um das organisierte Verbrechen als um die Folgen der Ausgrenzung. Egal ob damals in den 1960er Jahre oder heute. Die Ausgrenzung begünstigt die Ausbeutung von
Menschen in einer Notlage. Wer junge Migranten ausgrenzt, macht es kriminellen Organisationen einfach, diesen jungen Menschen eine bessere Zukunft zu versprechen.
Das organisierte Verbrechen ist dort, wo das Geld ist. Als die Gastarbeiter kamen, war vor Allem mit Schmuggel Geld zu machen. Mit den heute offenen innereuropäischen Grenzen und der
Personenfreizügigkeit können wir uns das nicht mehr vorstellen, aber die Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union waren früher nicht offen. Die Umgehung von Grenzen und Zöllen
war lukrativ.
Die Basilicata hat, wie Molise, keine eigenständige mafiöse Organisation. Das stimmt. Was aber nicht bedeutet, dass kein organisiertes Verbrechen in der Basilicata gibt. Lange war für das
organisierte Verbrechen kein Geld in der Basilicata zu verdienen, aber das hat sich mit Investitionen in Industrie (Stellantis-Werk in Melfi, Erdölförderung) und Wiederaufbau (Erdbeben von 1980)
geändert.
Solchen Organisationen geht es nicht um den Menschen. Es geht um Geld und Macht. Menschen wie Claudio Gentile sind Spielbälle dieser Organisationen. Deshalb erhält er auch keine Unterstützung
der ’Ndrangheta als er in Schwierigkeiten gerät.
Wir erleben aktuell fremdenfeindliche Zeiten. Wer Migranten als Arbeitskräfte sieht und nicht als Menschen, setzt sich der Gefahr aus, dass feindliche Organisationen dies ausnutzen. Die
Politik, die von gewissen Parteien propagiert wird, gaukelt Sicherheit vor, ist aber in Wirklichkeit gefährlich.
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