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Gorans Kinder

«Deine Kirche ist nicht unsere Kirche» haben ihm Gorans Kinder heute gesagt. Sie wollen nicht mehr in die Kirche kommen, nicht mehr ministrieren. Ministrieren war eine Selbstverständlichkeit als er noch ein Kind war. Für seine Kinder ist es nicht selbstverständlich. «Wir gehen nicht aus dem gleichen Grund in die Kirche wie Du», haben sie gesagt, als er das Haus verlassen hat.

 

Goran ist verwirrt. Er sitzt in der Kirche, dort wo er seit Jahren jeden Sonntag sitzt, aber die Worte des Priesters erreichen ihn nicht, obwohl er sie versteht. Goran sitzt in der Kirche und merkt, dass seine Kinder recht haben. In seiner Heimat war der sonntägliche Kirchengang ein Ritual, eine Familientradition. Als er in die Schweiz kam, hat er das Ritual weitergeführt. Glücklicherweise muss er zugestehen, denn so lernte er zuerst andere Kroaten lernen, die hier lebten, und dann später auch Schweizer. Sie haben ihm geholfen, seinen Weg in der Schweiz zu machen.

 

Gorans Kinder brauchten diese Hilfe nie. Sie sind hier geboren, sprechen Dialekt wie die Kinder der Eingeborenen. Gorans Kinder sind integriert, sind Teil der Huttwiler Gesellschaft. Für sie ist das hier ihre Heimat und ihre Zukunft. Hier waren sie nie fremd, nicht so wie Goran heute in der Kirche. Die Predigt spricht ihn nicht an. Goran geht raus bevor die Messe vorbei ist. Das hat er vorher nie gemacht und er wundert sich, dass er den Mut dazu hat.

 

Gorans Frau und seine Kinder sind entsprechend erstaunt, dass er so früh zurück ist. Als er erzählt was passiert ist, lacht seine älteste Tochter, umarmt ihn und sagt «Du bist jetzt wie die Leute hier, Du bist hier angekommen, Du bist integriert, Du handelst wie ein Schweizer. Du entscheidest, was für Dich richtig oder falsch, gut oder schlecht ist».

 

Goran ist jetzt erst recht verwirrt. Die Freiheit der Schweizer bei allem Möglichen mitzubestimmen, sogar ob Kühe Hörner tragen sollen, hat er bisher nie verstanden. Heute spürt er sie aber. Spürt, dass er frei entscheiden kann, was er für richtig hält.

 

Goran hat sich entschieden. Er will das zurückgeben, was er erhalten hat. Er will Einwanderern helfen, ihren Platz hier zu finden. Er will beim «Café International» mitmachen. Es stört ihn überhaupt nicht, dass es ein Angebot der «Konkurrenz» der katholischen Kirche ist.

 

Goran heisst in Wirklichkeit anders. Kennen Sie ihn, seine Kinder, seine Frau? Die Integration dieser Familie zeigt, was erreicht werden kann, wenn wir und Fremde ohne Furcht aufeinander zugehen, uns kennen und verstehen lernen: als Individuen frei leben und als Gemeinschaft das erreichen, was wir als Individuen nicht verwirklichen können.

 

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