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Abschied nehmen

Jahreszahlen! Wenn ich etwas an Beerdigungen hasse, dann sind es Jahreszahlen. Schon in der Schule fand ich es schrecklich, wenn die Geschichte auf Jahreszahlen reduziert wurde, aber bei einem Menschenleben finde ich es einfach traurig. Ein Menschenleben besteht aus Emotionen, Beziehungen, grosse und kleine Geschichten. Sie kam 1941 zur Welt. Danke, das stand schon in der Todesanzeige, was will der Priester damit sagen? Sollte es nicht eher heissen: Sie kam 1941 im Entlebuch zur Welt, in einer Bauernfamilie, die gut vom Ertrag ihres Hofes leben konnte? 1962 heiratete sie Fritz, ist auch so eine fade Aufzählung. Wie wäre es so: Ihren späteren Ehemann Fritz lernte sie bei einer Gewerbeausstellung kennen und weil sie ihn liebte, beschloss sie zu ihm nach Sumiswald zu ziehen, die Hochzeitsfeier wurde jedoch in der Kirche in Escholzmatt gehalten, denn damals gab es noch keine katholische Kirche in Sumiswald. Ein Jahr später kam die erste Tochter Anna-Barbara zur Welt. Ist es das was Sie mit der Geburt Ihres ersten Kindes verbinden, eine Jahreszahl? Natürlich weiss ich wann meine erste Tochter geboren wurde, aber die Geburt verbinde ich mit Emotionen, Bildern, Geräuschen und Gerüchen. Nicht nur mit einer Jahreszahl.

 

Beerdigungen sind nicht für die Toten, sie sind für die Lebenden. Sie sind das letzte Geschenk der Toten indem sie alle vereinen, die sie umgeben haben, und ihnen in Erinnerung rufen, was sie gemeinsam haben. Beerdigungen sind eine Besinnung auf das, was uns als Gemeinschaft ausmacht. Den Verstorbenen danken wir dabei nicht nur durch unsere Anwesenheit, sondern auch dadurch, dass wir uns daran erinnern, was sie uns gegeben haben, was wir mit Ihnen erlebt haben. Wir trennen uns zwar von einem Körper, aber nicht von einer Lebensgeschichte.

 

An Beerdigungen nehmen wir Abschied von etwas, das einmal war und nie mehr sein wird. Das gemeinsam Erlebte, die Emotionen und Bilder sollten wir nicht mitbegraben. Sie sind ein Schatz, den wir pflegen und teilen sollten. Der erste Schritt dazu ist der Leichenschmaus. Hier treffen wir uns und tauschen «weisch no»-Geschichten aus. Für unseren Zusammenhalt als Gemeinschaft ist der Leichenschmaus mindestens so wichtig wie der Gottesdienst.

 

Sie habe sich sicher schon bei Beerdigungen gefragt, wieso gewisse Leute anwesend waren. Haben Sie sie gefragt? Wieso bist Du eigentlich da? Sie haben mit einem Menschen etwas gemeinsam, das Ihnen nicht bewusst war. Sie ehren den Verstorbenen, wenn Sie dieses Gemeinsame erforschen und pflegen.

 

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