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Gemeinschaften

Ich kenne Adolf Muschg nicht, jedenfalls nicht persönlich. Der bekannte Schriftsteller schrieb ein Mail, das jemand meiner Frau weiterleitete und so entdeckte ich den Protestbrief Gegen die Gleichgültigkeit. Ich habe den Brief unterschrieben und bin nun Teil einer Gemeinschaft von rund 17'000 Menschen in der Schweiz. Eine ziemlich virtuelle Gemeinschaft.

Virtuelle Gemeinschaften kennen wir seit einiger Zeit, Sie können diesen Blog beispielsweise mit einem einzigen Mausklick über Facebook, Twitter, LinkedIn und XING verbreiten. Unsere Kinder spielen Fortnite, Fifa 21 und andere Spiele, ohne die Gegenspieler zu kennen. Mit der Corona-Pandemie sind neue dazugekommen, so zum Beispiel misHuttu, das über Facebook vernetzte und selber Teil anderer Netzwerke ist.

Diese virtuellen Gemeinschaften sind kein Ersatz für die Gemeinschaften, die wir sonst pflegen und die momentan ziemlich tatenlos warten müssen, bis sie wieder aktiv werden dürfen. Wer einen Mannschaftssport  betreibt, in einem Chor singt, Hobbies mit anderen teilt, kann sich kaum mehr mit seinen Kollegen treffen. Die Rituale unserer Gemeinschaften können wir kaum pflegen oder dann nur in abgeschwächter Form. Ob wir am Heiligabend in einer vollen Kirche Stille Nacht singen oder ob höchstens 50 Personen der Melodie lauschen, die eine Organistin spielt, löst in uns nicht das Gleiche aus.

Unser reiches Land kann nicht mehr im Überfluss leben, das unser Alltag prägte. Sogar die Anzahl Personen, die mit uns feiern dürfen, ist beschränkt. Dass an einem Tag 15 Flüge von Basel nach Pristina gehen, wäre für den Blick in normalen Zeiten keine Schlagzeile wert. "Aus den meisten Kommentaren geht hervor, sobald das Wort Kosovo auftaucht, sehen viele mehr als rot", steht in einem Kommentar. Bewusst oder unbewusst spielt der Blick die Gemeinschaften gegeneinander aus.

Die Corona-Pandemie ist längst keine Gesundheitskrise mehr, sie ist zur Gesellschaftskrise geworden. Gemeinschaften zerfallen, andere werden gegeneinander ausgespielt. "Der bisherige Umgang mit der Pandemie spiegelt nicht die Grundwerte wider, auf denen das Schweizer Staatswesen ruht" steht im erwähnten Protestbrief. Der Respekt der Minderheiten ist ein Grundpfeiler unseres Landes, denn wir sind alle Mitglieder von Minderheiten. Ohne Respekt zerfällt unser Land in seine Bestandteile. Das kann uns nicht gleichgültig sein.

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