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Mediokrat

 

Als Maradona starb, fragte ich mich, ob er heute in ein Talentförderungsprogramm aufgenommen würde. Nein, muss man annehmen, wenn man die viele Kritik liest, der Profifussball fördere das Mittelmass, bevorzuge Roboter gegenüber Genies. Der Walliser Zukunftsforscher Gottlieb Guntern würde wahrscheinlich beipflichten. In seinem Buch «Maskentanz der Mediokratie» beschreibt er, wie Mittelmässige die Kontrolle über Organisationen gewinnen und dabei herausragende Menschen unterdrücken. Er nennt diese Mittelmässigen «Mediokraten» und meint den Begriff durchaus als Schimpfwort.

 

Aus ganz anderen Gründen kommt der amerikanische Unternehmensberater Tom Peters zum gleichen Schluss. In seinem Buch «Re-Imagine» schreibt der Spitzenleistungsfanatiker, dass Innovation in Unternehmen nur möglich ist, wenn sie im Verborgenen entwickelt wird, bis sie nicht mehr verhindert werden kann. Den Grund ortet Peters darin, dass Unternehmen meistens von Menschen mit Erfolgen in der Vergangenheit geführt werden, die sich ähneln, weil sie Erfolg gleich definieren. Deshalb würden viele Unternehmen von einer Gruppe älterer, weisser Männer geführt. Daraus entsteht eine Monokultur, die die Innovation behindert.

 

Das ist auch im Sport, in der Kultur, der Bildung oder in der Politik so. Von einem Gemeinderat, der aus sieben weissen, reformierten Männern mittleren Alters ohne Migrationshintergrund besteht, die möglicherweise von den gleichen Lehrern in der gleichen Schule ausgebildet wurden, kann man auch keine bahnbrechende, innovative Politik erwarten.

 

Immerhin fördern wir Talente. Im Talentförderungsprogramm der Schule Huttwil sind heute acht Talente. Wir fördern also ein paar Einzelne und nicht grundsätzlich das Talent jedes Einzelnen. Wieso ist das so? Ich behaupte, weil die Mediokraten unser Leben zwar dominieren, uns aber nicht völlig beherrschen. Jeder von uns ist für etwas begabt und wir können diese Begabung entfalten. Wenn Ihr nächster Spaziergang Sie auf den Huttwilberg führt, gehen Sie in den Wald hinein. Sie werden dort wunderbare Holzskulpturen antreffen. Da hat jemand Talent und lebt es aus.

 

Der britische Wissenschaftler Francis Galton führte Ende 19. Jahrhundert den Begriff «regression toward mediocrity» (Rückschritt in die Mittelmässigkeit) ein. Später wurde daraus in der Statistik «regression to the mean» (Rückfall auf den Mittelwert). Dieses Phänomen beschreibt, dass auf aussergewöhnliche Werte immer Werte folgen, die zur Mittelmässigkeit, respektive dem Mittelwert, zurückführen. Begnügen wir uns mit Mittelmass, bekommen wir Mittelmass. Wollen wir mehr als Mittelmass, dann müssen wir uns dafür anstrengen. Unter anderem auch, indem wir uns von Mediokraten nicht einschränken lassen und unsere Freiheiten leben.

 

Ich glaube, wäre Maradona heute ein Huttwiler Jugendlicher, er würde ins Talentförderungsprogramm aufgenommen. Ob er es zum Profifussballer bringen würde, ist eine ganz andere Frage.

 

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