Unsere gesteigerte Mobilität macht uns immer öfter zu Durchreisenden. Bevor wir in ein Gasthaus einkehren, prüfen wir schnell auf Tripadvisor, ob wir nicht noch ein paar Kilometer weiterfahren sollen. Mitglied eines Vereins werden wir schnell, wenn wir einen unmittelbaren Nutzen haben, aber uns binden, Verantwortung im Verein übernehmen, fällt uns schwer. Wer weiss schon, was in vier Jahren sein wird?
Als Präsident der Katholischen Kirchgemeinde sehe ich mich mit einer Frage konfrontiert, die auf den ersten Blick seltsam klingt. Ist eine Kirche auch eine Herberge? Die Frage impliziert, dass die Zukunftsperspektiven für Herbergen besser sind als für Gasthäuser. Neu ist der Gedanke der Verbindung von Glaube und Herberge nicht, er ist der Ursprung des Kolpingwerks. Der Priester und frühere Geselle Adolph Kolping wollte den sozial schlecht integrierten Gesellen mit Herbergen einen Halt geben. Die Kolpingfamilien lösen sich wie andere Vereine auf, die Kolpingfamilie Langenthal ist die sechste Familie von rund 70 Kolpingfamilien schweizweit, die sich 2021 auflöst.
Unsere erhöhte Mobilität hat Auswirkungen auf unsere Integration in der Gemeinschaft in der wir gerade leben. Wir sind die modernen Gesellen, so etwas wie die Nachkommen der Gesellen Kolpings. Besonders ausgeprägt ist dies bei den Oberaargauer Katholiken, denn wir sind alle Zugewanderte oder Nachfahren von Zugewanderten. Die Idee hinter der Frage lebt vom Gedanken, dass Zuwanderer den Zugang zur Oberaargauer Gesellschaft finden, weil diejenige sie unterstützen, deren Zwischenhalt im Oberaargau schon länger dauert. Die Missione Cattolica Italiana half den italienischen Einwanderern in den 1950er und 1960er Jahren. Heute nehmen die Kinder ihrer Enkel am Religionsunterricht teil, diese Kinder sprechen besser berndeutsch als italienisch und sind voll integriert. Die Frage ist also, ob die Kirche das Gefäss sein soll, das den Integrierten ermöglicht, Zuwanderer das zu geben, was ihre Vorfahren bekommen haben.
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