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Moskau einfach!

 

Vor vierzig Jahren, als ich noch jung war, wünschte man Menschen, die der Sowjetunion gegenüber «zu wenig kritisch» waren, ein Bahnticket nach Moskau, damit sie sich dort niederliessen und «rechtschaffene» Bürger mit ihren Äusserungen nicht mehr nervten. Damals, vor vierzig Jahren, war mit Leonid Breschnew ein Ukrainer Präsident der Sowjetunion.

 

Heute, vierzig Jahre später, wünscht man Menschen, die der russischen Führung gegenüber «zu wenig kritisch» sind, ein Flugticket nach Moskau, damit sie sich dort niederlassen und «ehrliche» Bürger mit ihren Äusserungen nicht mehr nerven. Der heutige Präsident Russlands war vor 40 Jahren als KGB-Offizier in der Auslandspionage tätig.

 

Nach vierzig Jahren fallen wir in alte Muster zurück, der böse Feind kommt wieder von Osten, wie damals als ich die Rekrutenschule besuchte. Die alten Sowjets sind scheinbar in Moskau wieder an der Macht, politisch stehen ihnen im Westen aber nicht mehr linke Kreise nach, sondern ausgerechnet die Kreise, die vor vierzig Jahren «Moskau einfach!» riefen, wenn ihnen Äusserungen zu links waren.

 

Ich bin alt genug, um mich an diese Zeiten zu erinnern. Ich kann mich an diese Mauern erinnern, die die Menschen in «gut» und «schlecht» einteilten. Ich kann mich erinnern, wie die Stimmung im Land war, als der Fichenskandal das Vertrauen in unseren Staat erschütterte.

 

Das Leben in Huttwil plättschert heute vor sich hin, wie der Regen, der endlich dem ausgetrockneten Land wieder Wasser gibt. Ich traue diesem scheinbaren Frieden nicht. Russlands Einmarsch in der Ukraine und die Reaktionen und Diskussionen, was «richtig» oder «falsch» sei, haben mich vierzig Jahre zurückversetzt. In die Zeit, wo vieles im Verborgenen lief. Dreissig Jahre lang haben wir eine offene Welt geschaffen, seit dem Mauerfall, seit dem Ende der Sowjetunion. Schengen, Euroraum und Mobilität haben uns Freiheit gegeben. Eine Freiheit, die ich gefährdet sehe. Düstere Aussichten.

 

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